Umdenken?
20. Juli 2019 // Als sich der Juister Bürgermeister Ende Mai 2019 öffentlich zur Zukunft des historischen Juister Bahnhofs äusserte, verkündete er keine guten Nachrichten: Nur ein Neubau mache Sinn, so liess Tjark Goerges eindeutig verlauten. Nicht wenige sahen in dieser Aussage einen Handlangerdienst für die wirtschaftlichen Interessen der Frisia-Reederei. Wenige Wochen später kann man nun in der Ostfriesen-Zeitung lesen, dass die Abrisspläne offenbar vom Tisch sind. Was ist da passiert?
Nun hatte sich Bürgermeister Tjark Goerges also endlich öffentlich und belastbar geäussert. Zwar quoll seine Stellungnahme zum Bahnhofsabriss über vor Allgemeinplätzen, aber immerhin gab es eine konkrete Aussage: „Nur ein Neubau macht Sinn“, so der Bürgermeister, der offenbar trotz aller weichgespülten Füllsel einen festen Standpunkt vermitteln wollte: Der Bahnhof muss weg.
Dann die Überraschung: Keine zwei Monate später kündigt die Frisia an, dass das Unternehmen nicht mehr mit einem Abriss rechne (siehe Ostfriesen-Zeitung vom 12. Juli 2019). Nun also doch kein Abriss — nachdem Tjark Goerges doch gerade deutlich gemacht hatte, dass es nur diese Massnahme geben könne? Das verwundert.
Wenn es tatsächlich nur eine Massnahme gäbe, die „Sinn macht“, dann könnten vernünftige Verantwortliche nicht davon abweichen. Jetzt wird allerdings „komplett neu geplant“ und „mit einem Abriss rechne man nicht mehr“, so wird Carl-Ulfert Stegmann, Reedereivorstand der Frisia, in der Ostfriesen-Zeitung zitiert.
Die Augen verschlossen
Die dünne Argumentation des Juister Bürgermeisters, dass ein Abriss sozusagen alternativlos sei, weil der Bahnhof „marode“ sei, erweist sich nun als untauglich — und das haben viele geahnt oder gar gewusst. Es gibt ganz offenbar andere Lösungen — auch, wenn man bei der Frisia vielleicht noch keine fertige in der Schublade hat.
Goerges’ Stellungnahme stellt sich deshalb nicht nur als einseitig und phantasielos dar, sondern auch als bedenklich verkürzt für den Chef einer Gemeinde: Seine Sorge darum, dass ein Teil Juists verloren gehen könnte, drückt er in seiner Stellungnahme vom Mai 2019 genauso knapp wie wenig überzeugend aus. Herzblut sieht anders aus.
Goerges hat die Augen verschlossen vor einer Entwicklung Juists, die das einzigartige Flair und den Charme einer „anderen Insel“ in den Mittelpunkt stellt. Ein Umdenken tut dringend und schnell Not. Sonst droht dieser besonderen Insel bald das Schicksal diverser anderer.
Der öffentliche Erklärungsversuch des Bürgermeisters ist gründlich misslungen. Wer sich intensiver mit dem Abriss historischer Gebäude beschäftigt, wusste das schon beim ersten Lesen seiner Stellungnahme. Die Errichtung eines Neubaus wird häufig schöngerechnet. Der Begriff „marode“ ist ein Zauberwort, das gerne benutzt wird. Darauf fallen viele herein. Dachte wohl auch Goerges …
Die tatsächlichen Gründe für den Abriss alter Bausubstanz liegen oft ganz woanders: Mangelndes Verständnis für den (unwiederbringlichen) Wert des alten Gebäudes in einer gewachsenen Dorf- oder Stadtlandschaft wird kombiniert mit nüchternen Kosten-/Nutzenrechnungen. Dabei erfolgt bei der Wirtschaftlichkeit ein Ausblick in eine ungewisse Zukunft, der häufig nicht erfüllt wird. Zukünftige Rentabilitätsversprechungen überzeugen mehr als alles andere — insbesondere Unternehmen und ihre Aktionäre.
Durch die Ablehnung des Förderantrags wird jetzt noch deutlicher: Das Geld stand und steht im Vordergrund, nicht der Erhalt von historischer Bausubstanz und Inselkultur auf Juist. Dabei hätte es einem strategisch denkenden Bürgermeister gut angestanden, sich für den Erhalt der Werte seiner Insel einzusetzen — wenn er denn erkannt hätte, dass Juist seine Einzigartigkeit immer weiter aufgibt und zunehmend austauschbar wird.
Werfen wir aber noch einen genaueren Blick auf die Sachlage bezüglich der Förderanträge, wie sie sich heute darstellt:
Förderantrag „Ausbau“
Das Nationalparkhaus hatte beim Niedersächsischen Umweltministerium Fördergelder für den „Ausbau“ seiner Räumlichkeiten beantragt. Tatsächlich aber wäre mit dem Ausbau der komplette Abriss des alten Bahnhofs verbunden gewesen. Bei aller Intransparenz, wer da was warum beantragt hatte — so viel dürfte klar sein: Von dem Geld für das Nationalparkhaus hätte die Frisia nicht unwesentlich profitiert, denn die Abriss- und Neubaukosten wären für das Unternehmen niedriger ausgefallen.
Förderantrag „Inneneinrichtung“
Neben dem nunmehr abgelehnten Antrag zum „Ausbau“ gab es einen weiteren: Das Nationalparkhaus hatte Fördergelder für die Inneneinrichtung beantragt. Das Niedersächsische Umweltministerium genehmigte dafür laut Ostfriesen-Zeitung gut 100.000 Euro stellte dafür gut 1.000.000 € in Aussicht¹. Offenbar hat man in Hannover eine andere Vorstellung davon, was richtig und gut ist für die Unterstützung des Nationalparks. Möglicherweise hat man sich mit Nachhaltigkeit, dem Erhalt historischer Bausubstanz und der Inselkultur auseinandergesetzt?
So, wie es heute aussieht, besteht die Hoffnung, dass man in Hannover den Nationalpark stärken möchte, hierbei aber unsinnige Massnahmen wie den Abriss historischer Bausubstanz nicht mehr fördert. Wenn es so wäre, dann hätte man aus dem Teilabriss des Bahnhofs und der Errichtung der westlich davon anschliessenden Bauten — die wahrlich keine Schmuckstücke sind — gelernt.
Dann hätten die Bausünden Juists — und davon gibt es immer mehr — wenigstens noch etwas Positives bewirkt. Benötigt wird aber mehr: ein generelles Umdenken. Es wäre deshalb gut, wenn Bürgermeister Goerges damit anfinge und zur veränderten Sachlage transparent und öffentlich Stellung nähme. Vielleicht zöge ja die Frisia nach, wenn die Gemeinde ein klares Bekenntnis zum Bahnhof abgäbe?
Andere Gemeinden und Städte machen es vor: Man besinnt sich auf das kulturelle Erbe, man erkennt den Wert und Nutzen historischer Gebäude. Was vorher als nutzlos und unmodern angesehen wurde, das hat sich zu manchem Kleinod entwickelt. Beispiele dafür sind viele historische Altstädte in unserer Republik, aber auch — um im Umfeld eines Bahnhofs zu bleiben — Besonderheiten wie die Wuppertaler Schwebebahn.
Ein Umdenken wäre auch auf Juist möglich, wenn die Gemeinde endlich (!) ein gutes Konzept zur Erhaltung der Einzigartigkeit der Insel entwickelte — oder von dem, was noch davon übrig ist. Das ginge zwar über das Thema Bahnhof deutlich hinaus — könnte aber helfen, weitere Fehlentwicklungen zu vermeiden, die man an anderen Urlaubsorten nur allzu oft findet.
Es sollte ein Denken ohne die üblichen Grenzen möglich sein, die meist durch angebliche Unwirtschaftlichkeit gesetzt werden. Wenn andere Werte nicht mehr gelten, wenn Kultur zum Ausverkauf ansteht, dann läuft etwas falsch. Ist die Orientierung lediglich am kurz- oder mittelfristigen Gewinn ausgerichtet, lediglich an Wachstum und der Steigerung der Besucherzahlen, so ist das keine gute Basis für eine gesunde Entwicklung.
Vielleicht sollte man Juist dann lieber gleich an McDonalds, Starbucks, Douglas und andere Konsorten verkaufen. Die kennen sich besser aus bei einer gesichtslosen Vermarktung ganzer Orte.
-Frank Jermann
Nachtrag vom 30. Juli 2019
¹Aufgrund eines Hinweises wurde die Höhe des Förderbetrags überprüft. Der von der Ostfriesen-Zeitung im ursprünglichen Artikel genannte Betrag (100.000 €) war falsch. Auch ist der Förderbetrag wohl bisher lediglich in Aussicht gestellt, aber noch nicht endgültig bewilligt.