19.11.2019 // Es gibt auf Juist natürlich nicht nur die Bahnhofsproblematik, sondern auch eine Menge sehr ähnlicher Themen. Diesen möchten wir — soweit es unsere Kapazitäten zulassen — hier ebenfalls Raum geben. Das Seeferienheim ist so ein Thema.
Der Sachverhalt in wenigen Worten
Im Juni 2018 wurde in einer Petition auf die angekündigte Schliessung des Seeferienheims hingewiesen. Hierbei geht es nicht nur um die Tradition, in der Kindergruppen aus dem Westfälischen ihre Ferien auf Juist verbringen konnten, sondern auch um den drohenden Verlust typischer, alter Inselbauten.
Jetzt deutet sich sehr konkret an, dass im Jahr 2020 der Betrieb des Ferienheims nicht mehr aufgenommen werden wird. Die Eigentümerin hat an ein Bauunternehmen verkauft, von dem nicht ernsthaft angenommen werden kann, dass es an dem Betrieb eines Ferienheims für Kinder interessiert ist.
Vielmehr ist mit dem Abriss der fast hundertährigen Bauten zu rechnen — und dem Neubau von Appartmenthäusern. Manche bezeichnen es so: „Juist schafft sich ab.“ Da ist etwas dran.
Update vom 15.1.2020: Das Seeferienheim wurde von der Gemeinde Juist gekauft. Es wird also vermutlich erhalten werden.
Das Problem der Sprachlosigkeit
Diese Geschichte ist ein weiteres Beispiel dafür, woran es auf Juist heute mangelt: Eine offene, klare und verständliche Kommunikation seitens der Entscheidungsträger fehlt weitgehend. Wie beim geplanten Abriss des Bahnhofs gab es auch zum Thema Seeferienheim keine Stellungnahme der Verantwortlichen auf der Insel. Und das seit über einem Jahr!
So blieb es unklar, wie die Position auf Juist war: Was wollte man eigentlich? Bis heute (November 2019) weiss man nicht: Ist der Gemeinde das Seeferienheim egal, oder „kämpft“ man um die Fortsetzung dieser Tradition. Kinder kamen in Gruppen nach Juist, verbringen dort wunderbare Tage — und kommen immer wieder als Gäste auf die Insel.
Das war über Generationen so, doch im Jahr 2020 wird der Betrieb des Ferienheims eingestellt werden.
Wie kam es überhaupt dazu?
Lesen Sie die Details zur Entwicklung des Seeferienheims — also den Verkaufsplänen des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund — in der Petition. Annette Brunk und ihre MitstreiterInnen haben dort ausführlich dargelegt, worum es geht.
Anmerkung: Die Laufzeit der Petition ist mittlerweile beendet, sie kann also nicht mehr unterzeichnet werden.
Der langweilige, aber wichtige Teil: Was bisher geschah
Die Kreissynode
ist das oberste Entscheidungsgremium des Evangelischen Kirchenkreises. Ihr gehören 243 Mitglieder an, die alle 28 Kirchengemeinden sowie die Dienste und Arbeitsbereiche der Kirche in Dortmund, Lünen und Selm repräsentieren.
Die Eigentümerin des Seeferienheims ist „die Kirche“ (Evangelischer Kirchenkreis Dortmund). Aus wirtschaftlichen Gründen hat die zuständige Kreissynode (siehe Kasten) beschlossen, das Seeferienheim zu verkaufen. Dieser Verkauf hat — so die Information in der Petition — nun stattgefunden.
Alles gut!?
Naja, alles gut sicher nicht, denn es drängt sich die Frage auf, warum eine Organisation wie die evangelische Kirche den Betrieb einer solch wichtigen Einrichtung aufgibt — unter Berufung auf wirtschaftliche Aspekte. Man mag zu den Organisationen der verschiedenen Kirchen stehen wie man will — bei den wichtigen sozialen Aspekten der evangelischen Kirche in unserem Land wird es weitgehende Übereinstimmung über deren Nutzen geben.
Gerade der Einsatz für Kinder und finanziell schwächer gestellte Familien ist eine lobenswerte Aktivität der Kirchen. Offenbar ist man in Dortmund der Ansicht, dass Wirtschaftlichkeit oberste Priorität hat und soziale Belange dahinter zurücktreten müssen.
Ab hier wird es spannend
An wen geht das Seeferienheim?
Die Käuferin ist vermutlich die Moorkamp Projektbau GmbH aus Oldenburg. Moorkamp hat bereits einige Projekte auf Juist durchgeführt. Dabei geht es wohl vornehmlich um — Abriss und Neubau.
Sollte Moorkamp also tatsächlich Eigentümer des Seeferienheims werden, ist es doch sehr zweifelhaft, dass dort weiterhin ein Ferienhaus für Kinder betrieben wird.
Ein Schnäppchen!
Anstatt selbstlos Kindern Erholung auf Juist zukommen zu lassen, dürfte Moorkamp andere Pläne haben. Es steht zu vermuten, dass die 8.000 m² des Grundstücks freigeräumt, neu bebaut und Eigentumswohnungen verkauft werden sollen. Rechnen wir mal kurz nach: 3,2 Millionen Euro soll der Kaufpreis betragen — das macht 400 Euro/m². Auf Juist? Nun, das liest sich nicht teuer.
Wenn man weiss, dass für eine Eigentumswohnung auf der Insel heute bis zu 11.000 Euro pro m² (!) erzielt werden, dann ahnt man, welches Potential in diesem Geschäft stecken könnte. Es ist ein Riesengeschäft.
Und das Ferienheim? Einfach weg?
Der Beschluss der Kreissynode
„Das Grundstück mit den aufstehenden Gebäuden ist in Gänze zu verwerten. Der Verkaufserlös ist dem Kapitalvermögen zuzuführen. Kirchliche Interessenten werden bei der Verwertung bevorzugt berücksichtigt.“
Ja, einfach weg. Das Seeferienheim wird verschwinden. Es sei denn, man schaut genau hin …
Es gibt da diese Verpflichtung der Verkäuferin (also der Kirche), kirchliche Kaufinteressenten bevorzugt zu berücksichtigen (siehe Kasten). Ein immerhin etwas sozialer Gedanke, den man gut heissen muss — will die Kirche dieses Sahnestück auf Juist offenbar nicht an irgendwelche Heuschrecken übereignen.
Kein kirchlicher Interessent?
Nun wurde an Moorkamp verkauft. Das ist allerdings kein kirchlicher Käufer, da muss man nicht raten. Nimmt man die Kirche beim Wort ihres eigenen Beschlusses, dann dürfte es keinen ernsthaften kirchlichen Interessenten gegeben haben — denn sonst hätte man ja nicht an Moorkamp verkauft.
Aus sicherer Quelle ist allerdings bekannt, dass es einen kirchlichen Interessenten gab und gibt! Dessen Pläne sind, das Seeferienheim für einige Millionen instandzusetzen und weiter zu betreiben. Klingt das nicht klasse?! Warum die Kirche nicht an diesen verkauft hat, weiss wohl nicht mal, äh — Gott.
Und die Gemeinde Juist?
Wir ahnen natürlich alle, dass die Juister Gemeinde auf Seiten der Guten ist. Wie äusserte sich doch Bürgermeister Dr. Tjark Görges, als er vom drohenden Ende des Seeferienheims erfuhr:
Wir müssen jetzt eine lösungsorientierte Gesprächsebene finden …“ (Quelle: Facebook-Seite von Dr. Görges, 10. Juli 2018)
Welch eine staatsmännische Aussage! Klar, dass unter solch einer Führungsfigur schnell eine Lösung gefunden wurde. Äh, nein, wurde nicht?
Man könne doch nichts machen, so konnte man in Diskussionen auf Facebook öfter lesen. Ein Gemeinderatsmitglied schrieb gar: „Da kann kein Gast was für oder gegen tun, kein Insulaner, und leider können wir das auch nicht dem BGM in die Schuhe schieben.“
Tja, wenn das so ist, dann hat wohl alles seine Richtigkeit.
Das wahrscheinliche Szenario?
Das Normale
Wie üblich, dürfte die Gemeinde ein Vorkaufsrecht für das Grundstück haben. Das wird sie nicht ausüben können, da Juist eher knapp bei Kasse ist (weshalb man ja ab 2020 auch von Kindern einen Gästebeitrag einfordert, aber das ist ein anderes Thema). Der Gemeinderat wird sich also mit dem Thema befassen und den Verkauf an Moorkamp abnicken. Das war’s dann?
Nein, das war’s nicht, denn: Das Grundstück ist mit einer Last versehen, also einer Auflage. Ein sogenannter Gemeinbedarf muss bei der Nutzung berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass da nicht einfach Appartments oder ein Hotel hingestellt werden können, sondern ein der Allgemeinheit dienendes öffentliches Gebäude oder eine ähnliche Einrichtung. So wie ein Ferienheim für Kinder …
Vielleicht kommt es aber doch ganz anders
Wenn dieser Gemeinbedarf bestehen bleibt, dann wird Moorkamp wohl nicht so richtig glücklich werden, könnte man denken. Er wird also darauf drängen, dass diese Last von der Gemeinde aufgehoben wird — wozu sie wohl grundsätzlich berechtigt wäre. Tja, was wird die Gemeinde also machen? Wird sie alles tun, um das Seefrieneheim zu retten — oder dem Unternehmer Moormann seine Wünsche erfüllen?
Wie man hört, haben die fünf CDUler vermutlich eher ein Herz für den Bauunternehmer. Die anderen fünf (Pro Juist, SPD, Grüne) sollen dem Vernehmen nach dem Moorkamp eher Bauklötze in den Weg legen. Diese Information ist mit Vorsicht zu geniessen, aber nicht abwegig.
Sollte es aber so sein: In solchen Fällen eines Patts entscheidet dann — die Stimme des Bürgermeisters. Könnte man denken, dass Dr. Tjark Görges der CDU so nahe steht oder vielleicht sogar verpflichtet ist, dass er sich deren Meinung anschliesst?
Wir wissen es nicht, denn wir sind ja nur uninformiert Gäste, die sich völlig ungefragt um jeden Mist kümmern! Und wir haben sogar Meinungen! Unverschämt, oder?
Update: Gemeinde Juist kauft Seeferienheim
15.1.2020 // Das war nun wirklich eine Überraschung: Die Gemeinde Juist macht 3,2 Millionen Euro locker und kauft das Seeferienheim! Ein „kirchlicher Pächter“ soll es weiterführen.
Das Vorkaufsrecht wurde also genutzt — was aufgrund der gerne mal beklagten finanziellen Lage der Gemeinde kaum zu vermuten war. Auch das Stimmverhalten der CDUler überraschte — lediglich Hans-Ludwig de Vries stimmte gegen den Kauf.
Es sieht so aus, als wenn diese Geschichte ein gutes Ende genommen hätte. Zu verdanken ist das vermutlich dem Engagement vieler JuisterInnen und der Petition zum Erhalt des Seeferienheims.